Chinas Chemieindustrie: Expansion um jeden Preis
Von Porzellan zu Polymeren
Das rohstoffreiche China hat eine lange Tradition hinsichtlich wissenschaftlicher Innovationen und wirtschaftlicher Adaptionsfähigkeit. Waren es in den vergangenen Jahrhunderten die in großer Stückzahl für den globalen Export hergestellten Porzellanwaren, so waren es in den letzten Jahrzehnten petrochemische Erzeugnisse wie Ethen und daraus hergestellte Primärkunststoffe wie Polyethylen, die sowohl für die heimischen als auch ausländischen Abnehmerindustrien und deren Kunden eine essenzielle Rolle spielten. Mit einem Anteil von 32 Prozent an der weltweiten Plastikproduktion von über 400 Millionen Tonnen im Jahr 2022 war die Volksrepublik der mit Abstand größte Produzent von Kunststoffen. Staatlich beaufsichtigte Öl- und Chemiekonzerne wie Sinopec und PetroChina bedienen dabei sowohl die Up- als auch Downstreamsegmente, von der Raffination von Fahrzeugtreibstoffen bis hin zur kompletten Synthese hochmolekularer Polymererzeugnisse.Vertikales und horizontales Wachstum
Mittlerweile hat sich in den Laboren und Produktionshallen Chinas ein grundlegender Wandel vollzogen: lange Zeit lag der Fokus der chinesischen Chemieindustrie auf Produktion und Export großer Mengen anorganischer Grundchemikalien wie Natronlauge und Schwefelsäure. Die energieintensive Herstellung dieser Grundbausteine der chemischen Synthese wird begünstigt durch reiche heimische Vorkommen an primären Energieträgern wie Kohle, Erdöl und Erdgas, während die große Anzahl an Beschäftigten in Kombination mit vergleichsweise geringen Arbeitnehmer- und Umweltstandards die extensive Hochskalierung der Produktionsmenge ermöglichen. Der Umsatzanteil anorganischer Grundchemikalien hat sich seit 2005 jedoch um mehr als die Hälfte verringert und wurde durch die Herstellung und Veräußerung von Spezialchemikalien wie Lacken, Pflanzenschutzmitteln, Katalysatoren sowie Pharmazeutika kompensiert. Diese Diversifizierung der Produktpalette ist die logische Konsequenz aus der steigenden Profitabilität chemischer Erzeugnisse in den späteren Segmenten der chemischen Wertschöpfungskette und immensen Forschungsaufwendungen von zuletzt 33,5 Milliarden Euro im Jahr 2022, die zur Etablierung neuer Verfahren und Technologien führten.Ist der Zenit erreicht?
Im internationalen Vergleich steht die Chemieindustrie Chinas unangefochten auf dem ersten Platz und auch der vermeintliche Innovationsvorsprung westlicher Chemieindustrien wie zum Beispiel in Deutschland und den USA scheint nur noch verschwindend gering. Unternehmen wie BASF und Evonik investieren trotz Stellen- und Kapazitätsreduktionen in der europäischen Heimatregion weiterhin in den resilienten Chemiestandort China, der es trotz Null-Covid-Strategie in den letzten Jahren geschafft hat, als einzige Region der Welt ein konstantes Wachstum der Chemieproduktion aufzuweisen.Doch es bröckelt am Fundament: die chinesische Baubranche, eine der wichtigsten Abnehmerindustrien für chemische Erzeugnisse, stagniert weiterhin infolge des Zusammenbruchs des Immobiliengiganten Evergrande. Weiterhin führen globale Krisen und Kriege zu einer Neuordnung weltweiter Marktstrukturen, einhergehend mit einer generell gesunkenen Kaufkraft wichtiger globaler Abnehmerindustrien. Die daraus resultierende geringere Nachfrage in Kombination mit einer erhöhten Produktionsmenge in fast jedem Segment der chemischen Wertschöpfungskette wird Chinas gigantische Chemieindustrie in Zukunft vor große Herausforderungen stellen.