Soziale Inklusion von Menschen mit Beeinträchtigungen - Daten & Fakten
Soziale Inklusion ist dabei nicht nur ein Ideal, sondern ein konkreter politischer Auftrag. Deutschland hat sich mit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention im Jahr 2009 dazu verpflichtet, die Diskriminierung von Menschen mit Beeinträchtigungen zu bekämpfen und eine gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen. In der Praxis bedeutet dies zum Beispiel, dass an verschiedenen Orten (etwa in Bildungsstätten oder Behörden) gewisse Voraussetzungen erfüllt sein müssen. Dazu gehören neben räumlicher Barrierefreiheit (Fahrstühle, behindertengerechte Toiletten etc.) auch barrierefreie Internetseiten, Texte in leichter Sprache oder Hinweise in Blindenschrift.
Soziale Inklusion – um wen geht es?
In Deutschland leben circa 84 Millionen Menschen, mindestens 13 Millionen von ihnen haben eine Beeinträchtigung oder Behinderung. Vermutlich sind es sogar noch mehr, denn nicht jede Behinderung wird bei den Behörden registriert. Es ist außerdem davon auszugehen, dass aufgrund der demografischen Entwicklung die Zahl der Menschen mit Beeinträchtigungen wachsen wird, denn mit fortschreitendem Alter nimmt die Wahrscheinlichkeit einer Behinderung zu.Im Alltag wird der Begriff der sozialen Inklusion meistens ausschließlich mit Menschen mit Behinderung verbunden. In sozialwissenschaftlichen Diskussionen wird er inzwischen viel weiter genutzt: Er bezieht sich dann auf alle Menschen, die nicht den dominanten Normen entsprechen, zum Beispiel auch auf Menschen mit psychischer Erkrankung, auf Langzeitarbeitslose oder Asylbewerber:innen. Auch in den offiziellen Berichten der Bundesregierung zur Teilhabe in Deutschland wird der Begriff "Beeinträchtigung" bevorzugt: Dieser bezieht sich auf alle Menschen mit anhaltenden körperlichen oder psychischen Einschränkungen, die Exklusion erfahren, und nicht nur auf Menschen mit einer anerkannten Behinderung.
Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen
Die wichtigste Unterstützungsleistung vom Staat für Menschen mit Behinderungen ist die Eingliederungshilfe (seit 2020 SGB IX). Unter diese Fallen sowohl Sachleistungen als auch Geld- oder Dienstleistungen. Zum Beispiel können gehörlose Menschen Gebärdensprachdolmetscher:innen beantragen oder sehbehinderte Menschen technische Hilfsmittel.- Im Jahr 2022 wurden in Deutschland 24 Milliarden Euro für die Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen ausgegeben, davon entfielen 16 Milliarden Euro auf Leistungen zur sozialen Teilhabe.
- Die Zahl der Empfänger:innen zeigt einen kontinuierlichen Anstieg: Vom Jahr 2005 bis zum Jahr 2022 hat sie sich von 585.000 auf über eine Million nahezu verdoppelt.
- Die Zunahme der Empfänger:innen beruht vor allem auf einem Anstieg der ambulanten Leistungen. Die Zahl der Empfänger:innen in Einrichtungen ist dagegen seit 2005 relativ konstant geblieben. Diese Entwicklung spiegelt das aktuelle Umdenken in der Debatte um soziale Inklusion wieder: Die Unterbringung von Menschen mit Behinderungen in stationären Einrichtungen soll nach dem Gedanken der sozialen Inklusion möglichst vermieden werden.
Mehr Eigenständigkeit beim Wohnen – aber nicht für alle Menschen
Die positive Entwicklung mit Blick auf ambulante Leistungen zeigt sich auch in den Daten zu Hilfen speziell im Bereich Wohnen: Immer mehr volljährige Menschen mit Beeinträchtigungen erhalten Leistungen des betreuten Wohnens. Der Zuwachs findet dabei nahezu vollständig im Bereich der ambulanten Wohnunterstützung statt. Der Anteil der Leistungsberechtigten mit ambulanter Unterstützung an der Gesamtzahl der Empfänger:innen von Wohnleistungen (Ambulantisierungsquote) ist deutschlandweit von 49,8 Prozent im Jahr 2017 auf 57,2 Prozent im Jahr 2021 gestiegen. Allerdings profitieren von dieser Entwicklung Menschen mit geistiger Beeinträchtigung weniger als andere Menschen: Sie gehören besonders häufig zu den Bewohner:innen stationärer Einrichtungen. Fast zwei Drittel der Menschen, die Ende 2021 in einer Einrichtung stationär betreut wurden, waren Personen mit einer geistigen Behinderung (64,4 Prozent).Berufliche Teilhabe noch ausbaufähig
Nicht alle Menschen mit einer Behinderung kommen für ein Arbeitsverhältnis infrage. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn eine Beschäftigung zu weiteren Beeinträchtigungen führen würde. Nach dem Konzept der sozialen Inklusion sollten Menschen mit Beeinträchtigungen aber einer Erwerbsarbeit nachgehen können, wenn diese ihren Möglichkeiten entspricht. Daten aus dem Bereich der Arbeit geben allerdings Hinweise darauf, dass für Menschen mit Beeinträchtigungen deutliche Nachteile auf dem Arbeitsmarkt bestehen.- Die Erwerbsbeteiligung von Menschen mit Beeinträchtigungen ist deutlich geringer als bei Menschen ohne Beeinträchtigungen. Die Erwerbstätigenquote in zwar in den letzten Jahre gestiegen, dennoch waren im Jahr 2017 von den Menschen mit Beeinträchtigungen nur 53 Prozent erwerbstätig (Menschen ohne Beeinträchtigungen: 81 Prozent).
- Die Arbeitslosigkeit unter Menschen mit anerkannter Schwerbehinderung ist über Jahre gesunken, 2020 jedoch wieder sprunghaft auf 169.691 arbeitslose Menschen angestiegen. Im Jahr 2022 lagen die Arbeitslosenzahlen für Menschen mit Schwerbehinderung noch deutlich über dem Niveau von 2019. Die Auswirkungen der Corona-Krise haben damit zumindest kurzfristig die positive Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt für Menschen mit Schwerbehinderung gestoppt.
- Menschen mit Behinderungen leben seltener von einem eigenen Einkommen als Menschen ohne Behinderungen. Auch ist im Durchschnitt ihre materielle Lebenssituation schlechter: Insgesamt haben Menschen mit Beeinträchtigungen ein rund 260 Euro niedrigeres Einkommen als Menschen ohne Beeinträchtigungen.
- Der Staat stellt Geld zur Verfügung, um die berufliche Inklusion von Menschen mit Beeinträchtigungen zu fördern. Allerdings werden die Leistungen zur beruflichen Teilhabe von verschiedenen Trägern ausgegeben, was in der Praxis zu komplizierten Regeln, unklaren Zuständigkeiten und Verzögerungen führt.
Soziale Inklusion an Schulen: Inklusionsquote steigt
In Deutschland war es lange Zeit üblich, Kinder mit Beeinträchtigungen in speziell für sie geschaffenen Institutionen - den Förderschulen - zu unterrichten. In den letzten Jahren hat hier, auch durch die Ratifizierung der UN-Behindertenkonvention, ein Umdenken stattgefunden. Inzwischen haben Eltern behinderter Kinder das Recht, eine Beschulung an einer Regelschule durchzusetzen.Anders als soziale Inklusion allgemein wird die Inklusion an Schulen allerdings recht kontrovers diskutiert. Während die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Beeinträchtigungen grundsätzlich als wünschenswert empfunden wird, gibt es speziell beim gemeinsamen Unterricht an Schulen größere Vorbehalte. Insbesondere bei Kindern mit Verhaltensauffälligkeiten spricht sich zum Beispiel ein großer Teil von befragten Eltern gegen gemeinsames Lernen aus.
- Trotz der bleibenden Skepsis beim Thema Inklusion an Schulen kommt es in Deutschland immer häufiger vor, dass Kinder in Regelschulen sonderpädagogisch gefördert werden. Die Zahl der Integrationsschüler:innen hat sich innerhalb von zehn Jahren mehr als verdoppelt. Dies spiegelt sich auch in einem Anstieg der Inklusionsquote wider. (Die Inklusionsquote gibt den Anteil der Schüler:innen mit Förderbedarf, die an Regelschulen unterrichtet werden, an allen Schüler:innen der Primar- und Sekundarstufe I an.)
- Dieser Entwicklung steht allerdings nur eine leichte Abnahme der Exklusionsquote gegenüber. (Die Exklusionsquote gibt den Anteil der Schüler:innen mit Förderbedarf, die separiert in Förderschulen unterrichtet werden, an allen Schüler:innen der Primar- und Sekundarstufe I an.) Die Zahl der Schüler:innen an Förderschulen ist zwar über Jahre gesunken, aber nicht so stark, wie die Zunahme der Integrationsschüler:innen es zunächst vermuten lassen würde. In den letzten Jahren kam es sogar wieder zu einer leichten Zunahme bei der Zahl der Schüler:innen an Förderschulen.
Die erhöhte Inklusionsquote beruht also vor allem darauf, dass bei einer wachsende Zahl an Kindern an Regelschulen ein Förderbedarf festgestellt wird, während nach wie vor die meisten Kinder mit einer Behinderung an Förderschulen unterrichtet werden. Insgesamt gab es in Deutschland im Jahr 2022 über alle Schultypen hinweg rund 596.000 Schüler:innen mit sonderpädagogischer Förderung. Diese Förderung wurde aus einer Vielzahl an Gründen eingeleitet, besonders häufig vertreten waren die Förderschwerpunkte "Lernen", "geistige Entwicklung" und "emotionale und soziale Entwicklung". Der letztgenannten Schwerpunkt hat dabei in den vergangenen Jahren zugenommen. Parallel zu dieser Zunahme ist auch die Anzahl der bewilligten Eingliederungshilfen für Kinder mit seelischer Behinderung innerhalb von zehn Jahren überproportional gewachsen.